Von Thilo Baum. –
Was macht eine gute Rede aus? Auf diese Frage hören wir zahlreiche Antworten: eine gute Stimme, eine gute Körpersprache, eine gute Rhetorik. Ich weiß, dass möglicherweise nicht besonders opportun ist, was ich jetzt schreibe – aber wenn Sie nichts zu sagen haben, bringen Ihnen Stimme, Körpersprache und Rhetorik gar nichts.
Kennen Sie das? Da steht jemand vor Publikum, perfekt gekleidet, hörbar stimmgeschult und so körpersprachstark, dass man angesichts der Choreografie fast denkt, man sei im Ballett – und am nächsten Tag wissen Sie nicht mehr, was der Typ überhaupt erzählt hat. War da was? Ja, ein Rauschen, irgendwie.
Mir geht es oft so, wenn ich Veranstaltungen besuche: Es mangelt nicht an gut designten und rhetorisch starken Rednern, aber es mangelt an Rednern mit Relevanz.
Denn drehen Sie den Gedanken einmal um: Wenn jemand wirklich etwas zu sagen hat, Sie berührt, Sie inspiriert, wenn Ihnen jemand wirklich ein paar brauchbare, schöne Gedanken schenkt, die Sie vorher nicht gedacht haben und die Ihr Leben bereichern – ist es dann nicht gleichgültig, wenn dieser Redner ab und zu mal „Äh“ sagt?
Das Schlimmste für einen Kunden – also jemanden, der einen Vortragsredner bucht – ist es, sich zu blamieren. Es geht gar nicht darum, dass ein Redner sich blamieren könnte. Sondern es geht darum, dass dessen Auftraggeber sich blamieren könnte – vor seinen Kunden, Mitarbeitern, vor wem auch immer. Mit dieser Angst im Nacken kaufen Kunden Redner ein. Diese Kunden wollen im Nachgang nicht hören, was denn da für eine Luftpumpe den Abschluss des sonst großartigen Kongresses verhunzt hat. Sondern sie wollen hören: „Da hast du aber einen tollen Redner ausgesucht! Der hat uns echt was gebracht.“
Klangteppich aus harmonischer Rhetorik
Welche Vortragsredner bringen etwas, welche nicht? Thematisch ist die Skala enorm. Wobei es mir nicht darum geht, die Themen inhaltlich zu bewerten. Ein guter Vertriebsredner ist für sein Publikum genauso wichtig wie jemand mit dem Thema „Burnout“ oder „Kanarienvögel während der Mauser“ vor seinem Publikum. Hauptsache, die Rede geht gut rein, und wir erfahren etwas entscheidend Neues! Hauptsache, das Publikum hat am Ende nicht nur einen Klangteppich aus harmonischen Rhetorikfrequenzen erduldet, sondern nimmt inhaltlich etwas mit, was das Leben auf eine sinnvolle oder schöne Weise besser macht.
Anders als ein klassischer Rhetoriker denke ich dabei redaktionell. Marketinggeblubber und Tschakka-Theater hake ich bei Reden ebenso ab wie Seifenblasentexte schlechter Autoren beim Schreiben. In der Publizistik gibt es den Begriff des „Gatekeepers“ (Torwächters), der nun einmal keine inhaltsleeren Worte bis zur Öffentlichkeit durchlässt – und ich halte diese Torwächterfunktion für sehr wichtig angesichts des vielen Informationsmülls, den wir inzwischen hören und lesen.
Andererseits hat redaktionell auch der dröge, detaillierte, überpräzise und überkorrekte Wissenschaftsstil keine Chance – die Inhalte mögen ja bahnbrechend sein, aber solange der Redner sie nicht verständlich formuliert, dringen sie in der Breite nicht durch. Wenn wir nicht erfassen, inwiefern ein wissenschaftliches Thema relevant ist, erkennen wir es nicht als relevant. Wir können an die Relevanz glauben, weil es uns jemand einbläut, aber um sie wirklich zu begreifen, müssen wir die Relevanz erleben. Der Redner muss uns die Relevanz erfahrbar machen. Dass diese sinnliche Komponente nötig ist, übersehen viele, die akademische Bildung für die einzige Bildung halten und sich entsprechend spezialisieren: Je präziser eine Rede ist, desto weniger prägnant ist sie oft, und umso geringer ist ihre Reichweite.
Ich denke, wir brauchen eine Lösung dazwischen. Zwischen dem Tschakka-Mann und dem Wissenschaftler. Zwischen Prägnanz und Präzision. Und das ist eine Frage der Balance. Wenn Sie wollen, können Sie eine Skala aufziehen. Zeichnen Sie eine horizontale Linie und schreiben Sie links „Inhalt“ hin. Rechts schreiben Sie „Verpackung“ hin. Sie sehen: Der dröge Redner steht eher links, weil er seine wertvollen Informationen langweilig verpackt. Rechts steht der super Selbstvermarkter, der uns mit Nebelkerzen einnebelt und inhaltlich nichts sagt.
Redaktionell gedacht, haben Redner eine Chance, wenn sie beide Seiten beherzigen: Erstens wünschen wir einen brauchbaren Inhalt, und zweitens wollen wir diesen Inhalt ansprechend rübergebracht bekommen. „Ansprechend“ bedeutet nicht, dass wir etwas verfälschen oder vereinfachen. Es bedeutet lediglich, dass wir die Bedeutung der Sache fürs Publikum herausarbeiten.
Nachrichtenfaktoren für Reden
Im klassischen Journalismus gibt es verschiedene Theorien über Nachrichtenwert. Verschiedene Wissenschaftler haben immer wieder verschiedene Listen angeboten. Einige der Nachrichtenfaktoren, die immer wieder eine Rolle spielen, sind:
- Eine Information sollte eindeutig sein, also abgrenzbar – einfach damit man sie managen kann. Wir wollen wissen, worum es geht, was die Story ist.
- Eine Information muss bedeutsam sein, sie muss uns also aufmerken lassen, weil sie eine gewisse Tragweite hat.
- Eine Information braucht Konsonanz, das heißt, sie sollte im Wesentlichen unserem Denken entsprechen und nicht völlig abwegig sein.
- Eine Information sollte überraschen, also neu sein, was wiederum eine gewisse Abweichung von der Konsonanz erfordert.
Es gibt noch mehr Elemente – beispielsweise Prominenz und Gefühle jeder Art bis zum altbekannten „Sex sells“. Allerdings sind diese Aspekte für professionelle Reden vermutlich nicht unbedingt prioritär: Prominenz und Attraktivität tragen vielleicht dazu bei, dass jemand einen Redner bucht, aber sie sind noch lange keine Gewähr dafür, dass dieser attraktive Promi etwas Kluges von sich gibt. Ich denke, diese Erfahrung kennen Sie aus dem Fernsehen.
Nehmen wir die vier Faktoren und wenden sie auf die Rede an:
- Nehmen wir das Adjektiv „eindeutig“. Wie viele Reden haben Sie schon gehört, bei denen der Redner vom Hundertsten ins Tausendste kam? Wie viele Reden sind unklar bezüglich ihrer Botschaft? Eine gute Rede lässt sich reduzieren auf einen oder zwei Sätze.Wenn Ihnen das mit Ihrer Rede nicht gelingt, gilt vermutlich das Gleiche, wie wenn Sie für einen Text keine Überschrift finden: Es fehlt noch ein wenig an Konsistenz. Was also gehört gedanklich nicht rein? Überlegen Sie am besten nicht, was Sie alles sagen wollen, sondern überlegen Sie, was Sie weglassen können, um den Kern Ihrer Rede herauszuarbeiten. Und achten Sie darauf, dass Sie nicht von jedem Gedanken zu jedem weiteren beliebigen Gedanken kommen: Prinzipiell geht das schon, da sich aus jedem Gedanken weitere Gedanken ergeben. Aber eine gute Rede hat einen Roten Faden, eine Dramaturgie. Und die Kunst der Dramaturgie ist vor allem die Kunst des Weglassens. Wenn Sie Ihre Rede eingrenzen, was Sie tun sollten, grenzen Sie dabei automatisch auch manches aus. Logisch.
- Kommen wir zum Aspekt „Bedeutsamkeit“. Das heißt: Für eine Vertriebsmannschaft kann ein Vertriebs-Vortrag bedeutsam sein, die Kanarienvögel während der Mauser interessieren hier möglicherweise weniger. Der Kommunikationswissenschaftler Winfried Schulz hat aus der Bedeutsamkeit 1976 die „Nähe“ abgeleitet. Das heißt: Ihre Botschaft muss mit Ihrem Publikum etwas zu tun haben, sie benötigt Relevanz. Relevant ist es, wenn eine Information einen Einfluss auf unser Leben hat, auf unser Denken und Handeln. Relevant beispielsweise ist die Information, dass wir nicht alles richtig machen müssen, sondern dass wir das Richtige tun sollten. Wer darüber noch nie nachgedacht hat, wird klüger, wenn er darüber nachdenkt. Die Botschaft ist extrem nah, wenn jemand bisher stets das Falsche richtig gemacht hat und das eben in diesem Augenblick erkennt. Gute Impulsvorträge vermitteln solche „nahen Neuigkeiten“. Oft kommen sie vielleicht banal daher, sie eröffnen aber beim Nachdenken eine unermessliche Tiefe. Unbedeutend hingegen sind Dinge, die nichts mit uns zu tun haben und weit weg sind. Wenn beispielsweise Brutus Cäsar ermordet, ist mir das egal, auch wenn der Redner da vorne auf der Bühne sich daraus hochintellektuell irgendeine Ableitung in Richtung einer Botschaft zusammenstrickt. Akademische Selbstbefriedigung interessiert heute kaum noch – so wie es eben auch nur den einen oder anderen chinesischen Bauern interessiert, wenn sein Reissack umfällt. Es bedeutet für uns nichts. Es heißt nichts. Die Sache selbst mag kurios oder intellektuell anspruchsvoll sein, aber es geht ja nicht um die Sache. Es geht stets um die Bedeutung der Sache. Und die ist oft sehr einfach und klar.
- Der Gedanke der „Konsonanz“ bedeutet, dass wir an einer Gedankenwelt andocken, die das Publikum schon mitbringt. Wir können nur denken, was wir wissen. Also ist es Unsinn, mit abgehobener Gehirnakrobatik auf ein unbedarftes Publikum zuzugehen. Etwas ist auch dann konsonant, wenn wir eine Übereinstimmung mit unserem bisherigen Denken feststellen. Ich schätze, der wesentliche Grund eines mittelmäßig gebildeten Publikums für einen Musicalbesuch ist der Satz „Die Stelle kenn‘ ich!“ Menschen wollen Anker setzen und sich sicher fühlen. Setzen Sie also in Ihrer Rede solche Anker, um von dort aus in See zu stechen in Ihre Gedankenwelt. Wenn Sie Menschen mitnehmen wollen auf eine Reise, müssen Sie sie vorher zu Hause abholen. Wenig konsonant ist es, wenn Sie Dinge voraussetzen, die nur ein Teil des Publikums kennt – Sie sollten weder Bibelfestigkeit voraussetzen noch Lateinkenntnisse noch irgendwelche Verschwörungstheorien oder esoterische Glaubenssätze. Wenn Sie mit einem lateinischen Zitat beginnen, ist die Konsonanz bei der Mehrheit ebenso gleich null, wie wenn Sie davon ausgehen, dass ein repräsentativ durchmischtes Publikum selbstverständlich wie Sie an Astrologie glaubt. Es sind die Weltbilder von Nischen, und damit nicht übereinstimmend („konsonant“) mit dem Denken Ihres Publikums. Knüpfen Sie besser an Informationen und Weltbilder an, die schon da sind. Dazu sollten Sie wissen, wie die Menschen ticken und wie Denken und Meinungsbildung funktionieren.
- Im Zusammenhang mit der Konsonanz ist der Aspekt der „Überraschung“ spannend. Natürlich ist etwas Neues, Relevantes überraschend, das ist schon klar. Doch eine wirklich gute Top-Nachricht entspricht dem Konsonanzprinzip und überrascht trotzdem. Nehmen wir den Reaktorunfall in Fukushima: Dass ein moderner westlicher Reaktor platzt, hat die meisten von uns überrascht. Zugleich aber war das Szenario eines Reaktorunfalls in unserem Denken vorhanden. Die Nachricht hat also an nichts angeknüpft, was nicht da gewesen wäre, sondern unser Gehirn hat sofort die Verbindung herstellt. Die Nachricht war insofern konsonant und überraschend zugleich. Für eine Rede mit Substanz heißt das: Gehen Sie von einer gedanklichen Situation aus, die Ihr Publikum ganz sicher hat – und entwickeln Sie auf dieser Basis Ihre überraschende Botschaft.
Impulsvorträge nur mit Impuls
Zu diesen Nachrichtenfaktoren kommt bei der Rhetorik noch ein entscheidender Punkt hinzu: der Impuls. Der Impuls fehlt in unserer Liste bisher, weil wir von Nachrichtenfaktoren ausgehen und Nachrichten in der Regel nicht den Anspruch haben, einen Impuls auszulösen. Würden wir von Redefaktoren sprechen, wäre der Impuls ganz sicher darunter. Ein Impulsvortrag gibt einen Impuls – anders als ein Fachvortrag, der beispielsweise den Stand der Forschung darstellt und daraus nicht unbedingt einen Impuls ableitet (aber deswegen noch lange nicht langweilig sein muss).
Eine gute Rede im Sinne eines Impulsvortrags sollte etwas bewirken, sie sollte etwas anstoßen. Eine gute Rede gibt dem Publikum einen oder mehrere neue Aspekte mit, die relevant sind, und aus denen die Menschen etwas Konkretes machen können.
So ein Impuls kann eine Handlungsaufforderung sein wie bei Motivationsreden in der Art wie „Ab übermorgen wird alles besser!“. Ein Impuls kann aber auch eine simple Stellschraube im Gehirn umstellen, so dass ein Mensch künftig vertrauensvoll tickt statt misstrauisch. Wenn er begreift, dass es seine Wahl ist, ob er misstrauisch ist, und wenn er versteht, dass er durch Vertrauen mehr positive Dinge erlebt als durch Misstrauen, ist das so ein Impuls. Einfach, aber stark. Ein guter Impuls verändert das Denken zum Guten.
Und selbst beim Fachvortrag lässt sich überlegen, ob sich aus der reinen Darstellung der Fakten nicht auch ein Impuls ableiten lässt. Wissenschaftler kennen die Conclusio, also das, was daraus folgt. Als Journalist frage ich bei jedem Sachverhalt: Was bedeutet er? Also könnten auch Wissenschaftler überlegen, was ihre neuen Erkenntnisse bedeuten. Was folgt daraus, und was heißt es? Was ist jetzt zu tun?
Ich wünsche mir in der Rednerlandschaft eine Qualitätsoffensive in Richtung Substanz. Die Kunden – also die Unternehmen und Verbände, die Redner buchen – sehnen sich nach Substanz. Natürlich muss die Show stimmen, aber es sind eben auch Impulse gefragt, die nicht allzu banal sind.
Auf der Skala zwischen Inhalt und Verpackung siedeln sich schätzungsweise 70 Prozent der Redner bei der Verpackung an (viel fesselnde heiße Luft ohne Nachhall), 20 Prozent beim Inhalt (sachlich korrekt, sicher auch mal spannend, aber todlangweilig aufbereitet), und nur etwa 10 Prozent der Redner schaffen die richtige Mischung.
Das Wichtigste ist, wenn ich mir die Mehrzahl anschaue, die Arbeit am Inhalt. Bevor jemand die Bühne betritt oder auch nur daran denkt, Redner zu werden, sollte er die Frage abschließend klären: Was habe ich zu sagen? Und wer nichts zu sagen hat, sollte – frei nach dem Philosophen Ludwig Wittgenstein – schweigen.
Autor: Thilo Baum
© Rhetorikmagazin, Fotos: Thilo Baum
Thilo Baum, Jahrgang 1970, ist Kommunikationswissenschaftler, Autor und Träger zweier Buchpreise. Als Vortragsredner vermittelt er die Kunst des klaren Ausdrucks und der kundenorientierten Unternehmenskommunikation.
Thilo Baum ist professionelles Mitglied der German Speakers Association e.V. (GSA). Er leitet am Steinbeis-Transfer-Institut „Professional Speaking“ (GSA) bisher den Block „Presenting & Performing“ und ist dort ab dem Jahrgang 2015/2016 Studienleiter.