Rednerideal oder rhetorischer Bankrott: Politische Reden in Zeiten von Rücktritt, Glanz und Gloria

Auch heute, im Jahr 2014, gilt: Die Rede ist das primäre Mittel, durch das sich Politiker mitteilen – in der Öffentlichkeit, bei ihrer Arbeit in der Regierung und auf diversen Veranstaltungen. Dank klassischer Medien sowie moderner Plattformen wie Youtube finden Politikerreden ein noch größeres Publikum. So können mehr Menschen denn je politische Reden hören und sehen.

Umso besser, wenn ein politischer Redner – vom Lokalpolitiker bis hin zum Bundeskanzler – durch seine Reden und Worte in der Öffentlichkeit Vertrauen gewinnt und Verantwortung übernimmt. Ist dies der Fall, so verkörpert der Politiker wichtige Eigenschaften eines modernen Rednerideals.

Die Rhetorik ist hierbei als maßgebliche Handlung zu verstehen:
Handle so, wie Du redest, und rede so, wie Du handelst!

Wer die Rhetorik jedoch auf unmoralische, untragbare oder unwürdige Weise nutzt, handelt zugleich unmoralisch, untragbar oder unwürdig. Sich mit einem modernen Rednerideal auseinanderzusetzen, lohnt sich daher.

Doch über welche Eigenschaften muss ein Redner verfügen, um diesem Ideal zu entsprechen? Kann es solche Redner heutzutage überhaupt geben? Oder umgekehrt gefragt: Warum gelingt es Politikern immer wieder, sich als Redner gründlich zu diskreditieren? Und was bedeutet das für das Ansehen der Politik?

Mit dem modernen Rednerideal beschäftigt sich die wissenschaftliche Arbeit mit dem Titel „Der politische Redner zwischen Macht und Verantwortung“ von Alexandra Donath. Die Stuttgarter Rhetorikerin nennt darin als rednerische Negativbeispiele den Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff, der wegen des Vorwurfs der Vorteilnahme sein Amt niedergelegt hat, und den Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der über seine Plagiatsaffäre gestolpert war.

„Beinahe jeder Deutsche vertraut der Politik seit der Wiedervereinigung nicht.“

Alexandra Donath zitiert den Medienwissenschaftler Erich Straßner: „Sie [Anmerkung: Politiker] scheuen sich nicht vor dem Lügen, Betrügen und Täuschen derjenigen, für die sie eigentlich einstehen, zu deren Wohl sie arbeiten sollten.“

Alexandra Donath: „Der politische Redner zwischen Macht und Verantwortung“

Donath sagt zu den Folgen: „Wenn das Vertrauen der Gesellschaft in den Politiker schwindet, erwächst gesellschaftlicher und vor allem medialer Druck, der zum Rücktritt führt. Wenn Politiker nicht für das Gemeinwohl agieren bzw. dieser Anschein entsteht, wird sich die Bevölkerung im Gegenzug mehr und mehr von der Politik distanzieren. Dieser Trend wird zur Gefahr, wenn die Politik aufgrund dessen ihre Legitimation riskiert.“

Politiker stehen als Redner in einem Spannungsfeld von Politik, Gesellschaft und Medien.

Diese drei Komponenten, so Alexandra Donath, würden ihr Handeln beeinflussen. Und die kontrollierte und zugleich moralische Inszenierung von Inhalten erfordere eine entsprechende Medienkompetenz. Daneben bedürfe es aber auch unterhaltsamer Komponenten, die das gesellschaftliche Interesse an Politik gewährleisteten – eine anspruchsvolle Aufgabe für den politischen Redner. Mag sein, dass Politiker wie Christian Wulff und Karl-Theodor zu Gutenberg in dem Zusammenhang eine eher unglückliche Nähe zu Boulevardmedien gepflegt hatten.

Nach antikem Verständnis ist der ideale Redner, ein vernünftiger, integrer Staatsmann, der reden kann und zugleich tugendhaft handelt. Wie kann er dies heutzutage werden?

Für moderne politische Redner sieht Alexandra Donath in ihrer wissenschaftlichen Arbeit diesen Werdegang als ideal an:

„Der orator politicus festigt in seiner Kindheit ein sittliches und zugleich stabiles Gewissen, welches ihm Selbstbewusstsein und Vertrauen in die eigene Person verleiht. Aufgrund der damit anerzogenen Wertevorstellungen ist er von Angst vor Fehlern und Kritik befreit.

Bereits in der Schulzeit beginnt der politische Werdegang in einer ausgewählten Partei, die den individuellen Ansprüchen entspricht. […] Nach der Mitgliedschaft in einer politischen Jugendorganisation erfolgt der Vorsitz auf kommunaler oder Landesebene und später in der Fraktion. Anschließend wird der politische Redner das Amt des Landes- und darauffolgend des Bundesministers übernehmen. Der Werdegang erreicht seinen Höhepunkt im Amt des Bundeskanzlers und/oder Bundespräsidenten.

Parallel zum cursus honorum eignet sich der orator politicus Wissen über die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse an, entwickelt einen hohen Erfahrungsschatz und sittliche, sprachliche und mediale Kompetenzen. Auf diese Weise findet er die Balance zwischen Politik, Gesellschaft und Medien.“

Politiker müssen Redesituationen beherrschen und die Erwartungshaltung der Bürger richtig einschätzen.

Neben den sprachlichen Anforderungen an den politischen Redner, die sich daraus ergeben, sei die zuvor schon erwähnte Medienkompetenz gefragt – sie solle sich im Einklang mit Sittlichkeit und aufrichtigem Sprachgebrauch befinden. Nach Alexandra Donath fordere der strategische Umgang mit den Medien Inszenierungsmechanismen, die der Wahrhaftigkeit des Redners entsprächen. Als idealer Redner kommuniziere er sein Handeln aufrichtig und reagiere auf Kritik ehrlich und augenblicklich.

Ob Politiker wie Wulff, zu Guttenberg, aber z. B. auch Bundeskanzlerin Angela Merkel oder ihre Vorgänger Gerhard Schröder und Helmut Kohl dies getan haben oder tun? Die Bewertung bleibt jedem selbst überlassen.

Das Fazit in der wissenschaftlichen Arbeit lautet: Die sittliche Kompetenz des politischen Redners müsse über der sprachlichen und medialen stehen.

Alexandra Donath sagt: „Der Umgang mit der Politik, der Gesellschaft und den Medien beruht im 21. Jahrhundert auf einem authentischen und ehrlichen Handeln, dass stets in Einigkeit zu den ethischen Maximen des Redners steht.

Die Handlungsmacht des orator politicus vollzieht sich in der Partei, welche er nach außen vertritt, in der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und in einem glaubwürdigen Umgang mit den Medien.

Da der Gesellschaft mittels eines euphemistischen Verhaltens weder Vertrauen noch Orientierung geboten wird, bedarf es einer unabdingbaren Ehrlichkeit des Politikers. Dieses beinhaltet zugleich, fehlerhaftes Verhalten einzugestehen.“

Welcher politische Redner heute diesem Ideal nahe kommt oder es gar verkörpert, ist eine andere Frage.

© Rhetorikmagazin, Christian Bargenda
© Portraitfoto: Alexandra Donath


Alexandra Donath hat Allgemeine Rhetorik an der Universität Tübingen studiert und arbeitet als Redenschreiberin und Rhetoriktrainerin. Sprache ist Handlung, daher ist es ihr als Rhetorikerin ein Anliegen, dass wir wieder sorgfältiger mit unserem Sprachvermögen umgehen.


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