Ein Interview mit dem renommierten Vortragsredner und Experten für gehirngerechtes Präsentieren André Gerhard. – Mit direkt umsetzbaren Ratschlägen unter anderem zu den Themen Folienpräsentation, Flipchart, aufmerksamkeitsstarker Einstieg und Schluss, Begrüßung, Anmoderation, wirkungsvoller Appell und Mnemotechnik. –
Herr Gerhard, Sie sprechen von gehirngerechtem Präsentieren. Was bedeutet das?
Gehirngerechtes Präsentieren bedeutet, ein Redner übermittelt seine Botschaften in einer Weise, die es den Zuhörern ermöglicht, diese optimal aufzunehmen. Am wichtigsten ist dabei, dass der Redner durch sein gesamtes Auftreten und seine zielgerichtete Rhetorik von Anfang an die maximale Aufmerksamkeit erhält. Denn nur wenn er diese sofort hat, sind alle weiteren gehirngerechten Methoden sinnvoll.
Was sind typische Fehler, durch die ein Redner die Aufmerksamkeit des Publikums verliert?
Gehen Sie einfach in eine ganz normale Präsentation, hier können Sie die klassischen Fehler regelmäßig beobachten. In den letzten Jahrzehnten hat sich die foliengestützte Präsentation etabliert, die aus dem heutigen Präsentationsalltag nicht mehr wegzudenken ist. So wie die meisten sie einsetzen, hat sie den Effekt, dass die Zuhörer gelangweilt werden. Sobald Sie Zuhörer langweilen, schwindet deren Aufmerksamkeit. Das oberste Ziel muss sein, Spannung zu erzeugen, zu halten und damit zu erreichen, dass die Zuhörer gebannt an den Lippen des Redners hängen.
Warum sind Folienpräsentationen langweilig, können sie nicht spannend gestaltet werden?
Sie können auch Folien verwenden, bei denen eine Rede spannend bleibt. Ich schätze jedoch, dass mehr als 90 Prozent aller foliengestützten Präsentationen dem nicht genügen und die Zuhörer geistig abdriften. Ein Beispiel: Enthält eine Folie Text, müssen die Zuhörer lesen – das ergibt sich aus dem sogenannten Lesezwang. In dem Moment verliere ich bereits ihre Aufmerksamkeit. Außerdem muss ich nichts mehr sagen, denn die Zuhörer haben die Information ja schon.
Wenn ich also überhaupt Folien verwende, dann so, wie ich das gute alte Flipchart verwenden würde. Aus meiner Sicht ist es das ideale Präsentationsmedium, denn damit kann ich meine Gedanken vor den Augen der Zuhörer entwickeln. Die Zuhörer hieran teilhaben zu lassen, erzeugt hohe Aufmerksamkeit.
Das Flipchart hat allerdings den Nachteil, dass Sie es nur bei Gruppen bis rund 50 Personen einsetzen können. Sind es mehr Zuhörer, empfehle ich den Overheadprojektor, zum Beispiel mit einer Folienrolle.
Wie kann man die Aufmerksamkeit von Zuhörern sonst noch verlieren?
Viele Redner machen den Fehler, schlicht zu leise zu sprechen. Darum lohnt es sich, eine laute und deutliche Aussprache zu trainieren. Vor kurzem war ich auf einer Tagung, bei der der Redner so leise gesprochen hat, dass viele ihn nicht verstehen konnten. Sofort hat sich Unruhe ausgebreitet, manche haben ihr Handy herausgeholt. Mit lauter und klarer Stimme zu sprechen, strahlt außerdem Selbstvertrauen und Präsenz aus.
Für welche Art von Rednern ist gehirngerechtes Präsentieren wichtig?
Wir haben viele Kunden aus dem Vertrieb, die bei ihren Präsentationen überzeugender sein wollen. Es gibt aber auch beispielsweise Führungskräfte, die ihre eigenen Defizite erkennen und Techniken lernen wollen, um wirkungsvoller präsentieren zu können.
Mit welchen Techniken beginnen Sie?
Am Anfang geht es oft darum, Selbstvertrauen auszustrahlen und die Aufmerksamkeit der Zuhörer von der ersten Sekunde an zu erhalten. In einer Präsentation gibt es zwei neuralgische Stellen. Die erste ist der Einstieg: Die Zuhörer entscheiden nämlich in den ersten 30 Sekunden, wie sie einen Redner beurteilen. Die zweite ist natürlich der Schluss, der den Zuhörern nachhaltig in Erinnerung bleiben soll. Wenn ich an diesen beiden Stellen Fehler mache, kann ich auch mit der übrigen Präsentation nicht mehr viel retten. Wenn ich Anfang und Schluss hingegen gut meistere, fallen eventuelle Fehler an anderen Stellen nicht so stark ins Gewicht.
Haben Sie ein Beispiel für einen aufmerksamkeitsstarken Einstieg und Schluss?
Ein Prinzip für einen aufmerksamkeitsstarken Anfang ist, diesen anders zu machen, als die Zuhörer es erwarten. Zum Beispiel können Sie mit einer persönlichen Geschichte beginnen und dann zu Ihrem Thema überleiten. Beides muss aber zueinander passen. Geschichten, gerade wenn sie persönlich sind, müssen jedoch wahr sein. Es gibt Redner, die in der Ich-Form erzählen, deren Geschichte aber nicht selbst erlebt ist. Das merkt ein Publikum schnell, und der Redner wirkt sofort unglaubwürdig.
Und am Ende müssen Präsentationen rund sein. Es gibt Redner, die nach dem Schluss noch einen Satz anfügen, dann noch einen Satz, und so weiter – sie finden nicht zum Ende und wissen nicht, wie sie ihre Präsentation abschließen. Damit kann man eine ganze Präsentation kaputt machen.
Ich empfehle beispielsweise, am Schluss noch einmal mit einer Geschichte die Emotionen der Zuhörer anzusprechen und – das ist der Unterschied zum Anfang – aus dieser Geschichte eine Handlungsanweisung abzuleiten. Diese Handlungsanweisung wird in Verbindung mit einem Nutzen genannt. Das ist eine Formel, mit der ich sehr gute Erfahrung mache.
Wo platzieren Sie den Appell genau?
Letztendlich dienen die meisten Präsentationen dazu, das Publikum zu einem bestimmten Handeln zu motivieren. Deswegen sollten Zuhörer während der Präsentation immer wieder zu dem gewünschten Handeln aufgefordert werden. Am Ende sollte dies aber noch einmal in aller Form geschehen – und zwar indem der Redner in einem markanten Satz sagt, was der Zuhörer tun soll, und indem er anschließend in einem weiteren Satz sagt, was der Zuhörer davon hat. Diese beiden Sätze bitte wörtlich auswendig lernen, denn hier müssen Sie genau auf den Punkt kommen. Dann wissen die Zuhörer auch, dass die Präsentation zu Ende ist. Vermeiden Sie dabei unbedingt Sätze wie „Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit“. Damit schwächen Sie die Wirkung Ihrer Präsentation.
Wie sieht es bei einer einfachen Rede aus, zum Beispiel einer Begrüßungsrede, bei der ich nur ein Veranstaltungsprogramm vorstelle – brauche ich dann solche Methoden?
Ja, denn wenn Sie eine Rede – jede Rede – nicht gehirngerecht halten, langweilen Sie Ihre Zuhörer, und es gehört sich nicht, dem Publikum damit die Zeit zu stehlen. Wenn etwas nicht wichtig ist, dann lassen Sie es weg. Wenn ich eine Begrüßungsrede halte, dann soll sie interessant sein und Neugier auf die Veranstaltung wecken. Hier kann man auch in einer kurzen Rede viel erreichen.
Aus meiner Sicht sind die schlechtesten Reden oft die, bei denen ein anderer Redner eingeführt wird. Hier habe ich schon Schlimmes erlebt – Moderatoren, die den Namen des Redners falsch aussprachen, die das Thema nicht kannten, die die Pointe des Redners vorweggenommen haben, und so weiter. Am sichersten ist es, als Redner die Anmoderation selbst zu schreiben und sie dem Moderator vorzugeben.
Gut funktioniert hier übrigens die TIS-Formel. T steht für Thema, I für Interesse und S für Sprecher. Der Moderator nennt das Thema, leitet dann mit Spannung dazu über, warum das Thema für das Publikum interessant ist, und anschließend nennt er den Namen des Sprechers, der dann auf die Bühne kommt.
Was sollte ein Redner beachten, wenn er auf die Bühne kommt?
Ganz wichtig: Keine Begrüßung, keinerlei organisatorische Hintergrundinformationen. Der erste Satz ist der erste Satz einer Geschichte. Sagen Sie auch nie „Ich will Ihnen heute mal eine Geschichte erzählen“ oder Ähnliches.
Manche erwarten, dass der Redner das Publikum begrüßt oder er sich vorstellt. In der Regel interessiert sich das Publikum aber nicht dafür. Es kommt darauf an, dass der Redner hier und jetzt auf der Bühne eine gute Rede hält. Dann ist auch nebensächlich, was er früher gemacht hat. Wenn er eine schlechte Rede hält, helfen ihm auch die höchsten Titel nicht.
Manchmal – je nach Situationen – ist es aber ein Gebot der Höflichkeit, das Publikum zu begrüßen oder ein paar Worte zur eigenen Person zu sagen. Das sollten Sie dann aber erst nach Ihrem spannenden Einstieg tun und niemals zu Beginn.
Wie lange darf ein Einstieg sein, bevor das Publikum begrüßt wird?
Ich begrüße das Publikum nie. Ich mache den Einstieg und glaube, dass das Publikum dann so gefesselt ist, dass es gleich wissen will, wie es weitergeht.
Gibt es rein sprachliche Mittel, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu erhöhen?
Erstens sollten Sie eine Sprache verwenden, durch die Sie Bilder in den Köpfen des Publikums erzeugen. Zweitens sollte es eine einfache Sprache sein, etwa so, wie Sie sich auf der Straße mit einem Freund unterhalten. Wenn Sie eine höhere Sprache oder Fremdwörter verwenden, müssen Ihre Zuhörer oft erst überlegen, was Sie sagen wollen. Das ist anstrengend, und Sie können leicht die Aufmerksamkeit verlieren. Jeder Zwölfjährige sollte Sie verstehen können.
Welche klassischen rhetorischen Mittel sehen Sie als gehirngerecht an?
Ich verwende gerne Analogien aus dem Alltag, um komplexe, anspruchsvolle Sachverhalte leicht verständlich zu erklären. Aber auch alle anderen rhetorischen Mittel funktionieren sehr gut. Viele Redner sind jedoch noch nicht so weit, um mit solchen Finessen zu arbeiten. Darum empfehle ich am Anfang, authentisch zu sein in einer einfachen Sprache zu sprechen und dadurch die Überzeugungskraft zu stärken. Rhetorische Feinheiten sind sehr sinnvoll, aber eher für fortgeschrittene Redner.
Welche weiteren Möglichkeiten gibt es, um gehirngerecht zu präsentieren?
Ich verwende in Verbindung mit der Rhetorik die Mnemotechnik, das Prinzip nenne ich Mnemorik. Die Mnemotechnik wird dabei in zwei Richtungen angewandt: Erstens kann ich mir als Redner damit auch lange Präsentationen leicht merken und brauche keine Zettel oder andere Hilfsmittel – sehr wichtig für einen überzeugenden Auftritt. Und zweitens kann ich mit Hilfe der Mnemotechnik wichtige Inhalte im Gedächtnis meiner Zuhörer verankern.
Beispielsweise kann ich bei einer Vertriebspräsentation eine Geschichte erzählen, die verschiedene Bilder in den Köpfen des Publikums entstehen lässt, und die die Zuhörer ohne weiteres nacherzählen können. Diese Geschichte hat zunächst nichts mit den eigentlichen Inhalten der Präsentation zu tun, mancher im Publikum wundert sich vielleicht. Anschließend erläutere ich die fachlichen Aspekte der Präsentation, um die es eigentlich geht. Das können zum Beispiel zehn verschiedene Punkte sein. Danach bringe ich beides zusammen – die Bilder aus der Geschichte und die fachlichen Inhalte – und ich erlebe regelmäßig eine große Verblüffung und Begeisterung. Denn jeder im Publikum kann sich die zehn Inhalte merken, was ohne die Geschichte nicht gelungen wäre.
© Rhetorikmagazin, Christian Bargenda, Portraitfoto: André Gerhard
André Gerhard ist Vortragsredner und Trainer und gilt als führender Experte zum Thema gehirngerechtes Lernen, Lehren und Präsentieren. Er ist Mitgründer eines Unternehmens im Bereich der Erwachsenenbildung, das innerhalb von zehn Jahren zum deutschen Marktführer in dieser Branche wurde.
Als Redner überzeugt André Gerhard sein Publikum mit unterhaltsamen, mitreißenden Vorträgen rund um die Themen „Gedächtnismotor“, „Lernen leicht gemacht“ und „Fesseln Sie Ihre Zuhörer – mit Kopfkino“. André Gerhard ist Professional Member der German Speakers Association (GSA).