Ein Beitrag des Rhetorikexperten und Biologen Heiko Harthun. Teil eins des zweiteiligen Lampenfieber-Spezial. –
Feuchte Hände, nassgeschwitzter Rücken, Herzrasen, kein Appetit, trockener Mund, metallischer Geschmack auf der Zunge, das ständige Bedürfnis, die Toilette aufzusuchen, obwohl der Redner dort schon sieben Mal war. So oder ähnlich kann der Zeitraum vor einem Vortrag oder einer Präsentation aussehen.
Viele Namen für den immer selben Ablauf im Körper
Ob Sie es Nervosität, Angespanntheit oder Lampenfieber nennen, oder den festen Entschluss haben: “Ich sag’ den ganzen Mist ab!” – all dies sind euphemistische Umschreibungen für ein und denselben Vorgang: Der Adrenalinpegel im Blut bewegt sich auf die „Flucht-oder-Kampf-Schwelle“ zu. Die Schwelle also, die unseren steinzeitlichen Urahnen oft das Leben gerettet hat:
Die Löwin taucht brüllend aus dem hohen Gras auf. Adrenalin wird ausgeschüttet und bewirkt, dass Darm und Blase sich entleeren. Überflüssiger Ballast wird abgeworfen, das Fluchtgewicht wird reduziert. Sofort wird Schweiß produziert, denn nasses Fell ist schwerer zu packen. Der Blutkreislauf zum Verdauungstrakt wird stark gedrosselt, Atmung und Extremitäten erhalten mehr Blut und die Muskeln mehr Energie. Die Pupillen erweitern sich, was zu einem Tunnelblick führt. Es herrscht die Konzentration darauf, auf den nächsten Baum zu gelangen oder den langsameren Artgenossen zwischen sich und die Löwin zu bringen.
Präsentationen sind jedoch keine Löwen, vor denen Sie weglaufen müssen
Die Symptome, mit denen Sie bei Lampenfieber umgehen müssen, wecken dennoch durchaus die Assoziation mit solchen Gefahren. Häufige Toilettengänge, Appetitlosigkeit, Schweißausbrüche, Herzklopfen, der Drang wegzulaufen, dies alles sind evolutionäre Überbleibsel.
Lampenfieber in einem gesunden Umfang ist gut, denn etwas Adrenalin im Blut steigert Ihre Leistungsfähigkeit. Sie werden aufmerksamer und können sich besser konzentrieren. Wenn das Lampenfieber jedoch so gravierend wird, dass es eher blockierend wirkt und sich der Adrenalinpegel der Panikschwelle nähert, sollten Sie gegensteuern.
Was Sie sofort gegen Lampenfieber unternehmen können
Um es in einem Wort zu sagen: Bewegen! Egal was und egal wie, sich einfach nur zu bewegen hilft. Es muss kein Sport sein. Spazierengehen reicht schon vollkommen aus. Bewegung kann das „überschüssige“ Adrenalin im Körper abbauen.
Würden Sie sich nicht bewegen, würde der Körper das Adrenalin sehr langsam auch selbst wieder abbauen. Durch das Lampenfieber gelingt das aber nicht vollständig. So wird ein Depot errichtet, das irgendwann zur Panik führt. Wenn Sie sich bewegen, werden Sie das Adrenalin wieder los.
Oder, das geht auch: Den Adrenalinpegel weit über die Panikschwelle hinaustreiben
Fallschirmspringen, Bungeejumping und die speziell dafür konstruierten Geräte auf Jahrmärkten sollten hier gute Dienste leisten. Als Sportart ist Trampolinspringen sehr effektiv. Der kurze Schwerelosigkeitsmoment bewirkt seltsame Phänomene im Körper, und das Gefühl des Fallens sorgt für extreme Adrenalinauschüttungen.
Sie können dem Lampenfieber auch längerfristig vorbeugen
Entspannungstechniken sind ebenfalls sehr hilfreich. Sie setzen vor der Bewegung an und signalisieren dem Körper: Es gibt keine Gefahr! Die Liste der Möglichkeiten ist lang: Autogenes Training, Muskelrelaxation, Yoga, Tai Chi, Chi Gong, Meditation, Hypnose, diverse Atemübungen und vieles mehr.
All diesen Übungen ist jedoch gemeinsam, dass sie lange vorher trainiert werden sollten. Die erwartete Wirkung zeigt autogenes Training meist erst nach mehreren Monaten. Damit erst zwei Wochen vor einer Präsentation zu starten, ist wahrscheinlich zu kurzfristig. Es empfiehlt sich, einige Techniken auszuprobieren, bis Sie die gefunden haben, die für Sie am besten funktioniert.
Nicht ratsam: Manche Redner bauen Stresshormone medikamentös ab
Zu Arzneimitteln zu greifen, um das Lampenfieber zu bekämpfen, ist sicherlich nicht empfehlenswert. Dennoch gibt es auch hier Möglichkeiten. Die beiden Aminosäuren L-Tyrosin und L-Tryptophan sorgen dafür, dass weniger Adrenalin ausgeschüttet wird. Sie sind in der Apotheke rezeptfrei erhältlich und in verschiedenen Nahrungsmittelergänzungspräparaten (meist für Leistungssportler) zu finden. Aber Vorsicht, beide Aminosäuren wirken stimmungsaufhellend und sind deshalb auch in fast jedem Antidepressivum enthalten. Vom Gang in die Apotheke würde ich daher abraten, es sei denn, Ihr Arzt empfiehlt es Ihnen ausdrücklich.
Die beiden genannten Aminosäuren kommen aber auch in unserer Nahrung vor. Greifen Sie daher ruhig zu einer handvoll Walnüssen.
Energiemangel bereitet dem Körper weiteren Stress
Die Appetitlosigkeit bei Lampenfieber kann sich zusätzlich negativ auf die Präsentation auswirken: Das Adrenalin sorgt dafür, dass den Muskeln Energie zur Verfügung gestellt wird. Diese Energie kommt aus einem schnell umsetzbaren Zucker, das heißt, der Insulinspiegel im Blut steigt, da das Zuckerdepot schrumpft. Fällt der Adrenalinpegel während des Vortrags, weil Sie im Thema sind und die befürchteten Katastrophen ausbleiben, macht sich der erhöhte Insulinspiegel bemerkbar. Der Adrenalinpegel sinkt, und der Verdauungstrakt erhält wieder mehr Blut. Der hohe Insulinspiegel veranlasst die Verdauung, mit der Arbeit zu beginnen. Wenn jetzt nichts zum Verdauen da ist, da Sie wegen der Appetitlosigkeit nichts essen konnten, gibt es im Körper wieder Stresssignale. Die Unterzuckerung sorgt dann dafür, dass Sie sich unwohl fühlen, was Ihren Adrenalinpegel erneut ansteigen lässt. Dies ist ein kleiner Teufelskreis.
Manchmal fällt ein Redner erst kurz nach der Präsentation in die Unterzuckerung. Während der Präsentation ist es jedoch besonders unangenehm. Ideal ist es, wenn Sie sich auch bei Appetitlosigkeit zwingen können, etwas zu essen, das Ihnen langfristig Energie liefert: Vollkornprodukte oder Müsliriegel, Nüsse oder Trockenfrüchte. Während der Präsentation helfen hervorragende Produkte aus dem Fahrradsport: Gummibärchen gefüllt mit Maltose und dergleichen mehr.
Traubenzucker oder zuckerhaltige Getränke helfen Ihnen nur über kurze Sprints hinweg (ca. 5 Minuten). Bei Lampenfieber ist es außerdem keine gute Idee, koffein- oder teeinhaltige Getränke zu sich zu nehmen. Das steigert die Auswirkungen naturgemäß noch weiter. Eine Ausnahme: Eine Kaffee- oder Tee-„Abhängigkeit“. Die geringe Nervosität gegen leichte Entzugserscheinungen zu tauschen, ist wenig erfolgverspechend.
Das Resümee
Den Körper dazu zu bringen, das Adrenalin möglichst vollständig abzubauen, ist die einzige kurzfristige Lösung bei Lampenfieber. Es ist die Hilfe, die auch zwei Stunden vor dem großen Ereignis hilft: Bewegung! Wenn Sport möglich ist, dann vorher einmal gründlich verausgaben.
Außerdem: Nehmen Sie auch bei Appetitlosigkeit vor dem großen Ereignis energiereiche, lang anhaltende Nahrung auf. Dies beugt einer Unterzuckerung während des Vortrags vor.
Entspannungstechniken sind Langzeitvorhaben. Meist müssen sie Monate vorher trainiert werden. Die Techniken helfen Ihnen, Ihrem Körper zu signalisieren, dass der Adrenalinpegel weiter gesenkt werden kann.
Lesen Sie auch Teil 2: Wie Sie Lampenfieber überwinden: Wenn der Kopf sich querstellt
Autor: Heiko Harthun
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