Eine Analyse der Begrüßung in der Rede des Bundespräsidenten und Empfehlungen für Ihre Ansprachen, Reden und Präsentationen. –
„Herr Präsident des Deutschen Bundestages, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe verehrte Mitbürger aus dem In- und Ausland!“ – Mit diesen Worten beginnt der frisch gewählte Bundespräsident Joachim Gauck seine erste programmatische Rede am 23.3.2012 vor der Bundesversammlung.
An die Redaktion des Rhetorikmagazins wurde daraufhin die Frage gerichtet: Warum begrüßt Joachim Gauck die Bundeskanzlerin nicht?
In öffentlichen Reden und ganz besonders in politischen Reden gibt es Regeln und „ungeschriebene Gesetze“. Gerade bei der Anrede in Ansprachen und in Begrüßungsreden gilt es, sie zu beachten. Eingeweihte achten streng darauf, dass das sogenannte Protokoll strikt eingehalten wird. Und Außenstehende können hier leicht in einen größeren Fettnapf treten. So gehen Sie – ganz gleich bei welcher Art von Rede – auf Nummer Sicher:
Gibt es keinerlei protokollarische Verpflichtungen oder Üblichkeiten, halten Sie die Anrede möglichst kurz oder lassen Sie sie ganz weg.
Denn beim ersten Satz einer Rede ist die Aufmerksamkeit des Publikums besonders hoch, und es wäre schade, hier mit einer Begrüßungs- und Namenslitanei zu langweilen. Oft genügt „Sehr geehrte Damen und Herren“.
Ein Trick, wenn Sie nicht auf eine Begrüßung verzichten können oder wollen:
Sie können Ihre Rede auch ohne Anrede direkt mit Ihren Inhalten beginnen, um die hohe Aufmerksamkeit Ihrer Zuhörer für Ihre wichtigen Anfangssätze zu nutzen, und die Begrüßung einige Sätze später einschieben. So haben Sie einen starken Redeanfang, und niemand kann Ihnen nachsagen, Sie seien unhöflich gewesen.
Sind hingegen protokollarische Regeln zu beachten und ist eine Begrüßung unumgänglich, gilt bei politischen Reden:
- Beachten Sie die Reihenfolge. Zum Beispiel sind in der Begrüßung einer Rede Bundespolitiker vor Landespolitikern zu nennen und Gewählte vor Ernannten.
- Wird der Ranghöhere begrüßt, gilt der Rangniedrigere als mitgegrüßt. Diese Regel können Sie auch außerhalb der Politik anwenden, z. B. bei der Rede vor einer Belegschaft.
Zur Leserfrage: Warum hat der Bundespräsident die Bundeskanzlerin nicht begrüßt?
Grundsätzlich musste Joachim Gauck die Zuhörer begrüßen, da das Protokoll dies vorschreibt. Die protokollarisch korrekte Reihenfolge (d. h. die Rangreihenfolge von Redner und Zuhörern) bei der Rede von Herrn Gauck war:
- Bundespräsident
- Bundestagspräsident
- Bundeskanzlerin
- Bundesratspräsident
- Präsident des Bundesverfassungsgerichts
Indem Herr Gauck den Präsidenten des Deutschen Bundestages begrüßt, sind alle Untergeordneten mitgegrüßt, also auch die Bundeskanzlerin. Daher muss er sie nicht nennen.
Hätte Gauck Frau Merkel explizit begrüßt, hätten sich der Bundesratspräsident und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts fragen können, warum nun sie nicht genannt wurden. Die Begrüßung lediglich des Präsidenten des Deutschen Bundestages war daher vollkommen richtig.
Aber es waren noch mehr Personen anwesend: Mit der Nennung der „sehr verehrten Damen und Herren“ und der „Mitbürger aus dem In- und Ausland“ war die Begrüßung Gaucks komplett, und alle Anwesenden sowie die Zuschauer an den Fernsehgeräten konnten sich angesprochen fühlen.
Rhetorikmagazin
© Christian Bargenda, rhetorikmagazin.de
Lesen Sie auch:
Wie Sie in Begrüßungsreden lange Namenslisten entzerren und Ihr Publikum begeistern