Der Redeinhalt entscheidet: Gestik und Stimme täuschen nicht über inhaltliche Mängel hinweg

Lange galt die Meinung, es käme nicht unbedingt darauf an, was ein Redner sagt. Vielmehr seien Körpersprache, Mimik und Stimmeinsatz entscheidend, ob er überzeugen bzw. sein Publikum für sich gewinnen kann. Dass das nicht stimmt, belegt inzwischen eine wissenschaftliche Studie. Basis für die Wirkung einer Rede ist immer der Redetext.

Was sage ich und wie sage ich es.

In einem Rhetorikklub habe ich das Publikum per Handabstimmung befragt, was für die Wirkung einer Rede ausschlaggebend sei. Einzelne antworteten: „Der Inhalt!“ Die große Mehrheit meinte jedoch, die Art der Darbietung würde bestimmen, ob ein Redner überzeugen könne.

Dieser Glaube ist auch in populärer Rhetorikliteratur verbreitet und basiert auf einer längst widerlegten Studie.

Die meisten, vermute ich, übernehmen diese „Idee“ aus Fachbüchern. Denn einige Autoren beziehen sich auf die Untersuchung des US-Psychologen Albert Mehrabian aus den sechziger Jahren. Er hatte damals positive und negative Wörter mit unterschiedlichen Betonungen auf Tonband aufgezeichnet und Probanden vorgespielt. Dazu bekamen die Versuchsteilnehmer Fotos mit Sprechern gezeigt, die eine unterschiedliche Gestik hatten. Anschließend wurden die Teilnehmer befragt, in welcher Stimmung sich der Sprecher jeweils befand. Das Ergebnis: Die Versuchspersonen haben sich bei ihrem Urteil mehr an der Körpersprache und an der Stimme orientiert als an dem vorgespielten Begriff. Daraus hatte Mehrabian die 7-38-55-Formel abgeleitet. Die Wirkung einer Rede würde danach zu nur 7 Prozent auf den Text zurückgehen, zu 38 Prozent auf den Tonfall und zu 55 Prozent auf die Körpersprache.

Das damalige US-Experiment war keine Untersuchung im wissenschaftlichen Sinne.

Dass die Schlussfolgerung des Psychologen aus wissenschaftlicher Sicht unzulässig ist, hat eine Reihe von Gründen. Der meiner Meinung nach wichtigste Grund: Die 7-38-55-Formel basiert auf einer Verallgemeinerung, die nicht zwingend ist. Redesituationen, Redeinhalte und die Meinung des Publikums über Redethemen in der Praxis sind wesentlich komplexer als die Laborsituation und die damalige Fragestellung, aus der Mehrabian seine Rückschlüsse zog.

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Die neue Studie gibt Aufschluss.

Im Jahr 2006 haben das Allensbach-Institut für Demoskopie und die Universität Mainz das Thema neu untersucht. Der Titel ihrer Studie lautet: „Welchen Anteil haben Text, Erscheinungsbild des Redners, Betonung und Gestik an der Gesamtwirkung eines Vortrags?“ Zunächst wurden mit Hilfe von 2.000 repräsentativ ausgewählten Probanden Texte auf ihre Wirkung bzw. Überzeugungskraft untersucht. Es ging um Themen, zu denen es in der Bevölkerung keine eindeutige Meinung gibt, z. B. das Autofahren tagsüber mit Licht oder die positiven und negativen Auswirkungen der Globalisierung.

Bereits die Versuchsanordnung unterscheidet sich erheblich von dem Experiment aus den Sechzigern.

Anschließend hat ein professioneller Redner den überzeugendsten Text in verschiedenen Versionen mit unterschiedlicher Betonung, Mimik und Körpersprache vorgetragen und wurde dabei gefilmt. Die Aufzeichnungen wurden nun verschiedenen Gruppen vorgeführt, die ebenfalls repräsentativ zusammengesetzt waren. Die Gruppen konnten während der Rede festhalten, welcher Teil der Rede eine besonders starke Wirkung auf sie hatte.

Alle Teilnehmer wurden anschließend mit Hilfe umfassender Fragebögen befragt. So wollten die Forscher unter anderem herausfinden, ob der Redner sie von seiner Meinung überzeugen konnte. Zur Kontrolle wurde auch eine Gruppe befragt, die den Vortrag nur zu lesen bekommen hatte, sowie eine Gruppe, die weder Text noch Rede gesehen hatte – ein Blindtest mit unbeeinflussten Probanden.

Die Auswertungen liefern eindeutige Ergebnisse.

Die Wissenschaftler haben herausgefunden: Ist der Redeinhalt sehr überzeugend, kann durch Stimme, Gestik und Mimik nur wenig an Wirkung hinzugefügt werden. Ist der Redeinhalt weniger überzeugend, können Stimme Gestik und Mimik mehr ausrichten, wobei die Körpersprache und Mimik zusammen ungefähr dreimal mehr an Bedeutung haben, als die Stimme.

Titel der Studie: „Welchen Anteil haben Text, Erscheinungsbild des Redners, Betonung und Gestik an der Gesamtwirkung eines Vortrags“. Das Ergebnis: Ausschlaggebend ist der Redeinhalt.


Die Basis für die Überzeugungskraft einer Rede ist immer der Text.

Dies ergibt sich, sagt die Studie, bereits aus der Tatsache, dass der Text am logischen Anfang der Wirkungskette steht. Die anderen Elemente, Körpersprache, Mimik und Stimmvielfalt, sind lediglich für mehr oder weniger zusätzliche Wirkung verantwortlich.

Rhetorikmagazin
© Christian Bargenda, rhetorikmagazin.de


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